QM tut gut: Wie sich Architekten und Ingenieure wieder aufs Wesentliche konzentrieren können

Lean Management in Architektur- und Planungsbüros 1 (GeeMco: Götz Müller Consulting)

Der Einsatz von Lean Management Methoden und Werkzeugen ist in produzierenden Industrien mittlerweile sehr stark verbreitet und mehr oder weniger erfolgreich in dem Maße wie auch die zugrundeliegenden Prinzipien und Kulturaspekte berücksichtigt werden.

Auch in der Dienstleistung nimmt die Verbreitung kontinuierlich zu (Banken, Versicherungen aber auch im Gesundheitswesen). Dabei kommt es auch immer wieder zu Widerständen, die oft in Zweifeln bzgl. der Einsetzbarkeit begründet sind oder damit vorgeschoben werden.

 

Nicht selten drücken sich die Zweifel in immer wieder ähnlichen, manchmal pauschalen Aussagen aus: „Das funktioniert bei uns nicht“, „Bei uns ist das aber ganz anders“, „Das haben wir schon probiert, funktioniert aber nicht“.

Lean im Baugewerbe

Vergleichbare Situationen treten auf, wenn Lean-Aspekte im Baugewerbe eingeführt werden sollen. Deshalb lohnt es, sich einmal Gedanken zu machen, was das denn das Baugewerbe, dessen Betriebe der einzelnen Gewerke, aber eben auch Architektur- und Ingenieurbüros besonders auszeichnet. Eine Umfrage in meinem Netzwerk und meine eigene Einschätzung von Kundenbetrieben hat folgendes ergeben:

  • Leistungen im im Baugewerbe haben in der Regel die Losgröße 1. Das gilt sowohl für den klassischen Bau von Häusern (selbst in Reihenhaussiedlungen entsteht eine Einheit nach der anderen und vermutlich ganz selten werden zuerst in der ganzen Siedlung die Baugruben ausgehoben, um dann flächig die Fundamente zu gießen usw.) als auch für Leistungen, bei denen so etwas wie ein Halbfertigprodukt entsteht (bspw. das neu geflieste Bad, das man mit der Innenverkleidung eines Autos vergleichen kann). Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel, bspw. wenn im Baugewerbe ein Gebäude mit mehreren gleichen Einheiten entsteht (bei einem Bad werden auch kaum die Fliesen einzeln betrachtet). Solche Beispiele wurden in Podcast-Episode 031 – Prozesse in der Unikat-Produktion behandelt.
  • Die Leistungen (sowohl die Bauleistung als auch die Planung und steuernde Begleitung) werden ebenfalls in großer zeitlicher Nähe zur einem Kundenbedarf erbracht. Eine Ausnahme wäre vielleicht das Projekt eines Bauträgers für ein ganzes Wohngebiet oder die Basiskonstruktion eines Fertighauses (von der Stange). Zumindest die Teilgewerke haben ihren Auftraggeber in Person des Architekten oder Bauträgers, auch wenn dieser nicht der spätere Nutzer sein wird, macht er sich doch viele Gedanke über dessen Bedürfnisse, weil er sonst Gefahr läuft, auf dem „Produkt“ sitzen zu bleiben. Und selbst wenn es sich um ein Fertighaus handelt, bleibt doch viel individuelle Adaption an die Wünsche der Hauskäufer - sei es die Auswahl der Fliesen, Tapeten oder Farben...
  • Die Leistungserbringung findet meist vor Ort auf der Baustelle statt, für Architektur- und Ingenieurbüros zumindest die Steuerung und Ausführung des Bauvorhabens. Manchmal gehen dieser Tätigkeit noch Aktivitäten im Betrieb voraus (bzw. Produktion der Rohteile für ein Fertighaus), manchmal sind es nahezu ausschließlich Tätigkeiten vor Ort (Elektro- und Sanitärinstallation, Stuckateur- und Malerarbeiten), sieht man mal von der Herstellung der Rohmaterialien (Kabel, Rohre...) oder Produktion der Geräte (Heizung, Heizkörper, Waschbecken, Duschabtrennung...) ab. Dieser räumliche Aspekt der Leistungserbringung ist vermutlich der größte Unterschied zwischen der Bauindustrie und einem „normalen“ Industriebetrieb.

Aus diesen Aspekten ergibt auch der sehr viel direktere Bezug des Leistungserbringers zum Kunden, ebenso wie der Wertstrom oft stark auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten wird. Daraus resultiert auch der direktere Einfluss des Einzelnen auf die Kundenzufriedenheit und eine enge Kopplung des Feedbacks des Kunden.

Reflektiert man diese Charakteristika der Bauleistungen, fällt es sehr leicht, darin die Lean Prinzipien wiederzuerkennen, wie sie schon von 25 Jahren von Womack und Jones in ihrem Lean Klassiker definiert wurden.

Damit liegt es meines Erachtens auch auf der Hand, dass Lean-Prinzipien auch im Baugewerbe zum Einsatz kommen können. Verstärkt wird diese Einsicht, wenn man berücksichtigt, dass Toyota seinen Ursprung in einer handwerklich geprägten Gegend Japans hat und seine Wurzeln vor der Automobilproduktion in der Herstellung von Webstühlen entspringen.

Woher rühren dann die Vorbehalte, denen Lean Management im Baugewerbe und dem begleitenden Handwerk begegnet und wie können diese Vorbehalte und die daraus resultierenden Widerstände überwunden werden?

Auotmobilindustrie als Vorurteil für die Baubranche

Eine Ursache ist sicherlich die Serienproduktion der Automobilindustrie und das Bild, das dadurch in der Öffentlichkeit entstanden ist. Das Fließband und die damit verbundenen Arbeitsweisen haben sicher ihr übriges getan, was durch Szenen in Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ und dem zugrundeliegenden Taylorismus zum Ausdruck kommt und verstärkt wurde.

Ebenso hat der Abbau von Arbeitsplätzen in den 1990er und Folgejahren durch die Produktivitätssteigerungen mittels Lean Methoden im kollektiven Bewusstsein der Menschen seine Spuren hinterlassen, selbst wenn diese Phase oder die Branche selbst gar nicht (bewusst) erlebt wurde.

In meinen Augen ist es nur möglich Vorbehalte abzubauen, indem diese aktiv angesprochen und die Bedenken ernstgenommen werden und gleichzeitig das entstandene falsche Bild korrigiert wird. Leider passiert dies nicht über Nacht und es ist gleichzeitig schwierig, eine Erfolgsprognose zu geben, in wie weit diese Korrektur gelingt. Was jedoch mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, ist das Misslingen, wenn erst gar keine Bestrebungen gemacht werden.

Wie schon beim Einsatz von Lean Management in Nicht-Automobil-Industrien gilt es auch bei der Übertragung ins Baugewerbe, dass die bloße 1:1-Übertragung von Werkzeugen und Methoden aus einem Unternehmen in ein anderes nicht funktioniert und meist zum Scheitern verurteilt sein wird. Die zugrundeliegenden Prinzipien, wie die Verkürzung und Schwankungen der Durchlaufzeit als primärem Maß der Kundenzufriedenheit, die resultierende Vermeidung von Verschwendungen in allen Tätigkeiten, die nicht zur Wertschöpfung für den Kunden beitragen, gelten auch in der Baubranche und bieten einen Einstieg.

Durch die oft dezentrale Leistungserbringung vor Ort beim Kunden kommt den einzelnen Mitarbeitern und den Führungskräften vor Ort eine noch größere Bedeutung zu, als dies in klassischen Industriebetrieben der Fall ist. Nicht gelten lasse ich dabei die oft geäußerten Zweifel an den intellektuellen Fähigkeiten der Menschen vor Ort, die dort die Leistung erbringen. Auch hier sehe ich keinen wirklichen Unterschied zwischen einem Industrie- und einem Handwerksbetrieb. Die gemeinsame Hürde ist dabei die Einstellung der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern, welche es letztlich zu entwickeln gilt, um an der Entwicklung aller Mitarbeiter mitzuwirken und diese zu befähigen, die eigenen Tätigkeiten zu optimieren.

Sicherlich gibt es Unterschiede zwischen dem Organisieren einer Automobilproduktion mit ihrer Vielzahl an Zulieferer und dem Organisieren eines Bauvorhaben. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass von den Erfahrungen dieser vergleichsweise jungen Branche (im Vergleich zum Baugewerbe) gelernt werden kann. Was die Automobilindustrie mit Sicherheit verstanden hat, ist durchgehende Verzahnung der gesamten Lieferkette von den Rohmaterialien, über Systemteile bis zum fertigen Auto, das vom Band rollt. In meinen Augen ist die Komplexität der Automobilproduktion einem Bauvorhaben durchaus vergleichbar, auch wenn bei letzterem der Faktor Mensch u.U. größeren Einfluss hat.

In weiteren Artikeln werde ich Beispiele einzelner Lean-Anwendungen in der Baubranche beschreiben und damit aufzeigen, dass die allgemeinen Prinzipien mit angepassten Methoden und Werkzeugen auch dort zum Einsatz kommen können.

 


Götz Müller ist Ingenieur, Berater, Redner, Autor, Blogger und Podcaster Götz Müller ist Ingenieur, Berater, Redner, Autor, Blogger und Podcaster

 

Götz Müller

ist Ingenieur, Berater, Redner, Autor (NLP in der Lean-Praxis – Menschlich-soziale Erfolgsfaktoren für Lean, KVP & Co; Co-Autor weiterer Bücher), Blogger und Podcaster (Kaizen2go). Er beschäftigt sich schon seit 1998 mit Prozessoptimierung in unterschiedlichen Bereichen (Entwicklung, Produktion, Werkstatt, Baustellen und Verwaltung) und Branchen (Industrie, Dienstleistung, Baugewerbe und Handwerk) auf Basis von Lean und Six Sigma.

Als Berater ist er Ansprechpartner für die Geschäftsführung, Coach für Führungskräfte und Trainer für Mitarbeiter auf allen operativen Ebenen. Ihm liegt nicht nur der methodische Einsatz der Prozessoptimierung am Herzen, sondern auch die menschlichen, kulturellen und historischen Hintergründe und Grundlagen.

Mehr über Götz Müller lesen Sie auf seiner WebSite.

Zurück