QM tut gut: Wie sich Architekten und Ingenieure wieder aufs Wesentliche konzentrieren können

Lean Management in Architektur- und Planungsbüros 5 (GeeMco: Götz Müller Consulting)

Der fünfte und letzte Artikel der Serie über Lean Management in Architektur- und Ingenieurbüros beschäftigt sich mit dem Fluss- und Pull-Prinzip, die im Lean Management eine zentrale Rolle spielen. Diese Rolle ergibt sich einerseits aus der Kundenorientierung (eine mit dem Flussprinzip verknüpfte minimale Durchlaufzeit ist ein zentraler Faktor in der Kundenzufriedenheit), sie hat aber gleichzeitig auch greifbare wirtschaftliche Vorteile, weil durch eine minimierte Durchlaufzeit eine frühzeitige Abrechnung der Leistungen gegenüber dem Auftraggeber möglich wird.

In der klassischen Industrieproduktion ergibt sich das Flussprinzip durch die Gestaltung des Wertstroms, in den sich die einzelnen Produktionsschritte einordnen. In der Regel handelt sich es sich dabei um langfristige Entwicklungen über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Im Rahmen von Bauvorhaben entsteht dieser Wertstrom eher adhoc und immer wieder neu. Deshalb kommt hier der Planung und Steuerung durch die Planungsbüros eine noch zentralere Rolle zu als dies in der klassischen Industrie der Fall ist.

Dort werden vielfach auch Mechanismen des Pull-Prinzips eingesetzt (Steuerung der Produktionsabläufe durch Kanban-Systeme), welche sich nicht direkt auf die Bauausführung übertragen lassen.

Oberflächlich betrachtet könnte auch argumentiert werden, dass im Baugewerbe so oder so schon eine Einzel- oder Unikatfertigung vorherrscht und deshalb dieser wichtige Optimierungsfaktor bzw. -antrieb gar nicht mehr vorhanden ist.

Die Elemente des Fluss- und Pull-Prinzips

Deshalb ist es wichtig, sich zunächst die einzelnen Elemente des Fluss- und Pull-Prinzips vor Augen zu führen und diese dann auf die Baubranche zu übertragen:

  1. Definition und Festlegung der Ergebnisse, die vom nächsten Arbeitsschritt benötigt werden.
  2. Vorgehensweisen, die diese Ergebnisse schaffen.
  3. Notwendige Voraussetzungen für die Vorgehensweisen.
  4. Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Arbeitsschritten.
  5. Beginn der Arbeiten erst, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind.

Im Grunde dürfte ziemlich schnell klar werden, dass der (Gesamt-) Bauleitung hier eine zentrale Rolle zukommt, weil es eingangs erwähnten evolutionären Wertströme in dieser Form bei einmaligen Bauvorhaben nicht gibt und vermutlich in der Regel auch nicht geben kann.

Bevor ich auf die einzelnen Elemente eingehe, will ich noch die Vorteile des Fluss- und Pull-Prinzip darstellen. Den zentralen Vorteil einer minimalen Durchlaufzeit hatte ich bereits genannt. Umgangssprachlich kommt das auch dadurch zum Ausdruck, dass im Idealfall "in einem Rutsch" gearbeitet werden kann.

Damit ist auch verbunden, dass es zu keinen Liege- oder Lagerzeiten kommt, die sich direkt negativ auf die Durchlaufzeiten durchschlagen und auch den Geldfluss zeitlich behindern.

Auf die Baubranche bzw. Bauvorhaben übertragen verhindert das Flussprinzip, dass es zu Behinderungen kommt oder dass Baustellen unnötig angefahren werden, Aktivitäten dort nur begonnen aber nicht abgeschlossen werden können oder sogar unverrichteter Dinge wieder abgezogen werden muss. Dieser Punkt lässt sich auf das dritte und fünfte Element abbilden, letztlich steckt dort die Verschwendungsart der Bewegung auf einer übergeordneten Ebene dahinter (für die es oft auch einen erheblichen Gewöhnungsfaktor "das ist halt so" gibt). Da die einzelnen Gewerke meist durch selbstständige Handwerker bzw. Handwerksbetriebe erbracht werden, sind diese oft gleichzeitig für mehrere Auftraggeber bzw. auf mehreren Baustellen gleichzeitig aktiv. Im Sinne eines physikalisch unmöglichen Multitaskings muss es dabei unweigerlich zu unnötigen Bewegungen im Sinne der Fahrt von einer Baustelle zur nächsten kommen.

Gleichzeitig kann man den Handwerkern auch nicht alleine den schwarzen Peter zuschieben, wenn sie durch Überbuchung ihre Auslastung optimieren wollen. Zumal sie i.d.R. nicht nach erbrachter Arbeitszeit, sondern nach erbrachten Leistungsergebnissen bezahlt werden.

In einer idealen Welt ergibt sich dann auch keine Unausgeglichenheit oder resultierende Überlastung der beteiligten ausführenden Instanzen, weil alle Aktivitäten wie ein Uhrwerk ineinander greifen.

Erstes Element: Gewünschte Ergebnisse

Die gewünschten Ergebnisse werden in der Regel im Leistungsverzeichnis dargestellt. Eine größtmögliche Transparenz über die verschiedenen Gewerke hinweg kann in meinen Augen nur Vorteile haben, auch wenn oberflächlich erstmal nur Mehraufwand durch die notwendige Kommunikation entsteht. Die verantwortliche Rolle der Bauplanung dürfte damit auf der Hand liegen.

Zweites Element: Vorgehensweisen

Auch hier spielt das Leistungsverzeichnis neben dem vielzitierten Stand der Technik eine wichtige Rolle. Gleichzeitig sollte man mit Annahmen sehr vorsichtig sein, speziell weil auch in der Bauausführung ein ständiger Umbruch durch Neuerungen vorhanden ist. Aus diesen können sich dann natürlich leicht Gründe für mögliche Verzögerungen ergeben. Diese können aber in der Regel keine akzeptablen Begründungen sein. Ähnlich wie bei der Prüfung des Vorhandenseins von fachlichem Wissen von Mitarbeitern kommt der Bauleitung hier auch die Verantwortung zu, sich über das Wissen der korrekten und notwendigen Vorgehensweisen bei den Beteiligten ein eigenes Bild zu schaffen, ebenso wie das eigene Wissen den genannten Entwicklungen anzupassen.

Drittes Element: Notwendige Voraussetzungen

Versäumte Voraussetzungen führen dann sehr leicht zu den bereits geschilderten Verzögerungen. Auch hier sei auf die Vorsicht gegenüber Annahmen verwiesen.

Viertes Element: Schnittstellen

Der Bauleitung kommt als Kommunikationsknoten eine größere Bedeutung zu, als dies scheinbar in der klassischen Industrie mit ihren verkoppelten Wertschöpfungsketten der Fall und notwendig ist. Gerade weil es sich bei den Beteiligten in den einzelnen Prozessabschnitten um unabhängige Unternehmen handelt und gleichzeitig auch die Bauleitung ein Auftragnehmer des Kunden ist, herrscht hier ein anderes Beziehungs- und Abhängigkeitsgeflecht als in der Wertschöpfungskette beispielsweise einer Automobilproduktion. Der bewusste Umgang mit dieser besonderen Rolle ist eine wichtige Voraussetzung, um ihr gerecht zu werden.

Fünftes Element: Beginn erst bei vollständiger Verfügbarkeit

Den letzten Punkt hatte ich bereits angerissen. Ich plädiere jetzt nicht dafür, dass ein handwerklicher Subunternehmen die Baustelle sofort wieder verlässt, falls die Vollständigkeit nicht gegeben ist. Mein Appell geht an die Bauplaner und -steuerer, sich der Auswirkungen der Unvollständigkeit bewusst zu sein und diese laufend im Fokus zu haben, um potenzielle Defizite zu vermeiden, da diese letztlich für den Kunden aber auch für alle anderen Beteiligten unterm Strich nur negative Auswirkungen haben.

Zusammenfassung und Fazit

Auch im Baugewerbe und speziell in Architektur- und Ingenieurbüros lässt sich Lean Management anwenden, wenn man sich auf die Grundprinzipien (Kundenorientierung, Wertstrom, Pull-Prinzip, Fluss-Prinzip, Streben nach Perfektion, Respekt für den Menschen) besinnt und diese auf die Besonderheiten der Branche und jedes einzelne Unternehmen adaptiert.

Da Planungsbüros im Bauprozess mit ihrer zentralen Schnittstellenfunktion eine besondere Rolle zukommt, haben diese auch entscheidenden Einfluss auf die Wirksamkeit der Maßnahmen. Ähnlich wie bei der Führungsrolle in klassischen Industrien ist die Einbeziehung der wertschöpfenden Beteiligten (bauausführende Betriebe) ein entscheidender Erfolgsfaktor. Auch hier geht es als eine Vorbildfunktion darum, diesen die Vorteile von Lean Management aufzuzeigen und damit zur Mitwirkung auf den Baustellen anzuregen.


Götz Müller ist Ingenieur, Berater, Redner, Autor, Blogger und Podcaster Götz Müller ist Ingenieur, Berater, Redner, Autor, Blogger und Podcaster

 

Götz Müller

ist Ingenieur, Berater, Redner, Autor (NLP in der Lean-Praxis – Menschlich-soziale Erfolgsfaktoren für Lean, KVP & Co; Co-Autor weiterer Bücher), Blogger und Podcaster (Kaizen2go). Er beschäftigt sich schon seit 1998 mit Prozessoptimierung in unterschiedlichen Bereichen (Entwicklung, Produktion, Werkstatt, Baustellen und Verwaltung) und Branchen (Industrie, Dienstleistung, Baugewerbe und Handwerk) auf Basis von Lean und Six Sigma.

Als Berater ist er Ansprechpartner für die Geschäftsführung, Coach für Führungskräfte und Trainer für Mitarbeiter auf allen operativen Ebenen. Ihm liegt nicht nur der methodische Einsatz der Prozessoptimierung am Herzen, sondern auch die menschlichen, kulturellen und historischen Hintergründe und Grundlagen.

Mehr über Götz Müller lesen Sie auf seiner WebSite.

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